5. Oktober – Durch die Berge von Adigrat

Um 6 Uhr wecken uns die beiden Handys mit der üblichen Melodie. Ein bisschen können wir noch liegen bleiben, dann geht es – ohne große Wäsche – zum Frühstück. Wir packen, und Corinna, mit der wir beim Frühstück noch gefachsimpelt haben, ist ganz plötzlich verschwunden. Der Führer hat wohl zum Aufbruch gedrängt, denn sie will heute noch einen Bus nach Aksum nehmen.
Wir lassen uns mehr Zeit. Gebre, unser lokale Führer, ist schon da. Er ist gestern Abend noch die ganzen 12 Kilometer zurück gelaufen und heute früh den gleichen Weg nochmal…
Wir ziehen los. Es geht jetzt am Rand des Abbruchs entlang, immer wieder mit tollen Blicken auf die Berge und das Tal.

Gebre singt gerne. Hannibal und er führen einen richtigen Tanz auf, zu dem Lied über das „revolutionäre Tigrai“. Hannibal erkundigt sich nach deutschen Liedern und wir bringen ihm die ersten drei Zeilen von „Das Wandern ist des Müllers Lust“ bei. Zum Schluss singt er das schon ganz gut. Im Gegenzug lernt Wendelin den Wechselgesangsteil eines Liebesliedes. Er muss allerdings auch immer nur „Haile-mine“ singen. Freilich an der richtigen Stelle!

Es macht viel Spaß mit den beiden über die Berge zu ziehen und bald erreichen wir den steilen Abstieg vom Hochplateau hinunter.

Am Fuß des mächtigen, rötlichen Sandsteinfelsens erwarten uns die Eselstreiber des zweiten Dorfes, zum dem wir jetzt ziehen. Diesmal sind gleich zwei Treiber mit zwei Eseln gekommen. Unsere Sachen werden umgepackt, Wendelin gibt nun auch seinen Rucksack ab, der leicht auf dem Rücken des zweiten Langohrs Platz findet.
Nun geht es am Fuße der Berge durch die Ebene mit ihren Feldern und tiefen Einschnitten von Flüssen, die freilich nur in der Regenzeit Wasser führen.

Nach ein paar Kilometern mahnen die lokalen Guides zur Eile. In einer nahen Gemeinde, die wir passieren müssen, ist eine Beerdigung. Und zu Beerdigungen, so erklärt Hannibal, kommen stets alle Mitglieder der Gemeinde, häufig auch aus den Nachbargemeinden, und Freunde und Verwandte von weit her. 1800 bis 2000 Menschen bei einer Beisetzung sind nicht selten. Und so streben uns ständig Menschengruppen entgegen, die zur Trauerfeier wollen. Der Sohn der Verstorbenen hatte Pferde, die bei Hochzeiten und auch bei Beerdigungen eingesetzt werden. Und so kommen von überall her seine Kollegen mit prächtig geschmückten Tieren.

In unsere Richtung zieht eine Gruppe Schulmädchen aus der Schule nach Hause. Erst sind sie etwas schüchtern, dann ziehen sie mit Annette den Weg entlang, jede muss mal auf „what‘s your name?“ antworten und ein bisschen erlerntes Englisch anwenden.
Irgendwann heißt es „Ciao!“ (die von den Italienern adaptierte Verabschiedung in Tigrinja) – denn wir steigen jetzt nochmal kräftig an, ehe wir unsere zweite ländliche Unterkunft, die „Guagot Community Lodge“ erreichen.

Nach einem Mittagessen, diesmal auch für uns eine Injera mit Tomatensoße in der Variante „scharf“ mit Berbere und leicht, nämlich eben ohne dieses Gewürz sowie Spinat und Kichererbsenpüree, ist Ruhen angesagt.
Später kommen die Frauen und der „Herbergsvater“ von der Beerdigung zurück. Nun gibt es eine original äthiopische Kaffee-Zeremonie: Es wird auf Tischchen und Boden Gras ausgebreitet, als Zeichen der Gastfreundschaft. Bereitgestellt werden ein Ofen mit Holzkohle, ein Mörser und die typische Kaffeekanne mit rundem Boden, die nur auf einem ringförmigen Untersatz steht.
Die Kaffee-Zeremonie beginnt mit dem Rösten der Bohnen. In einer Blechdose, ohne Deckel aber mit einem Griff, der daran angelötet wurde, schwenkt die Dame den Kaffee über dem Holzkohlenfeuer. Schließlich darf jeder das Aroma schnüffeln. Dann füllt sie den gerösteten Kaffee in den Mörser, zerstößt die Bohnen und füllt sie in die Kaffeekanne. Zwischendurch macht sie Popkorn, das ebenso wie geröstete Maiskolben, zum Kaffee gereicht wird. Nun wird der Kaffee aufgekocht und schließlich ausgeschenkt. Die klassische Zeremonie kennt drei Runden mit stets schwächer werdendem Kaffee. Wir schaffen zwei. Hannibal erzählt dazu eine schöne Geschichte über die Entstehung der Runden.

Danach betrachten wir gemeinsam nochmals das Video mit dem Film über Haile, den Hirtenjungen. Wir wollen gerne nochmal nach May Megelta, dem Dorf in dem Wendelin damals mit Chris und Kordula gedreht hat, fahren. Aber wo genau liegt May Megelta? In den Karten von Google und auch in der Open Street Map auf Wendelins GPS-Gerät ist es nicht zu finden.
Hannibal erkennt sofort, wo der Ort liegt: Direkt hinter dem Berg, der sich östlich des Gasthauses erstreckt. Nach May Megelta sind es Luftlinie keine 12 km!
Wir werden morgen nach Hawzien fahren. Von dort aus sollen wir eine Kirche besichtigen. Der Plan ist nun: Wir verzichten auf die Kirche und fahren nach May Megelta.

 

 

2 Gedanken zu „5. Oktober – Durch die Berge von Adigrat“

  1. Hallo ihr zwei! Entschuldigt vielmals den rasanten Aufbruch. Ashu hat tatsächlich gedrängt. Kein Plan warum… Ein sehr schönes Reisetagebuch habt ihr da! Da steckt eine Menge Arbeit drin. Danke für das Teilen der Reiseerinnerungen. Es war schön Euch dort getroffen zu haben. Viele Grüße aus Gondar und weiterhin eine schöne Reise!

  2. Hallo Caro,
    kein Problem – ist manchmal so 😉
    Wir hoffen, Du hattest einen guten Lift nach Axum und Gonder und hast die Simiens genossen!
    Weiter gute Reise und alles Gute für den Neffen!

    Annette & Wendelin

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