Für heute haben wir eine Stadtrundfahrt gebucht, die uns auch zu den verschiedenen Museen in Addis führen soll.
Wir starten gegen 9 mit Gebrem (man spricht das G‘brum mit einem Klicklaut im G) und dem Fahrer Haile in einem Minibus für eigentlich acht Personen – aber wir sind die einzigen Gäste.
Zuerst geht es zum National Museum, in dem zahlreiche Asservate aus diversen Jahrhunderten ausgestellt sind – im Untergeschoss finden wir Knochen von Lucy, Arde und ihren Freunden aus den Anfängen der Menschheit. Weiter oben gibt es Exponate über Ackerbau, Kleidung der verschiedenen Völker Äthiopiens und natürlich Kronen und Zepter der diversen Herrscher.
Das oberste Stockwerk beherbergt Kunst, darunter das berühmte Gemälde „Afrika“ von Afewerk Tekle.
Dann geht es hinauf zum Entoto Hügel, dem ersten Regierungslager von Menelik dem zweiten, bekanntlich der Gründer von Addis Abeba. Die Stadt – mittlerweile eine der größten des Kontinents – wurde in der Tat erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet. Eben von Menelik II, dessen ersten Palast auf dem 3200 m hohen Entoto wir besichtigten. Da möchte man nicht wohnen. Es ist doch alles eher einfach. Jedenfalls im Vergleich zu zeitgleichen europäischen Potentaten.
Aber Menelik hielt es auch nicht lange dort oben, denn seine Frau zog es zu den heißen Quellen weiter unten, und diese Laune einer Frau führte dann zur Gründung von Addis Abeba (die Leute hier sagen Adisawa), was soviel bedeutet wie „Neue Blume“.
Genug der Besserwisserei. Danach besuchen wir das Ethnologische Museum, dass sich in der Universität von Addis befindet, die wiederum Räumlichkeiten von Kaiser Haile Selassie übernommen hat. In diesem Palast befinden sich die privaten Schlaf- und Baderäume des Kaiserpaares. Er hatte sogar einen Duschvorhang.
Das Museum selbst bietet einen nicht allzu systematischen Überblick über die beeindruckend vielen Ethnien in Äthiopien und ihre Riten und Religionen.
Vor dem Eingang steht eine Art Denkmal – 14 Stufen führen nach oben ins Nichts. Die Italiener haben sie 1936 dort hin gestellt – und jede Stufe soll ein Jahr der faschistischen Herrschaft Moussolinis in Italien symbolisieren. 1936 haben sie Äthiopien überfallen. Doch Haile Selassie besiegte sie 1941 und setze auf die 14 Stufen einen Judäischen Löwen, das Symbol der Macht der äthiopischen Kaiser. Ätsch!
Wir dürfen Pause machen, holen aus einem ATM mickrige 3000 Birr und trinken mit Gebrem und Haile einen Kaffee.
Wir fragen nach den Demonstrationen und Unruhen in der Stadt – und pieksen in ein Wespennest. Denn Gebrem ist aus Tigray und findet die Regierung der EPRDF eigentlich nicht so schlecht. Nur die Leute würden das nicht richtig erkennen.
Haile ist Amhare (seine Mutter kommt allerdings aus Tigray) und er hat eine ganz andere Meinung: Alles hier in Addis gehöre den Typen aus Tigray, die das Volk aussaugen und sich von den ergaunerten Millionen überall Häuser kaufen. Hm.
Haile sagt, die EPRDF habe bis zum „Wechsel“ (an der Spitze der EPRDF) die Volksstämme gegeneinander ausgespielt – besonders Oromo gegen Amharen aufgehetzt. Gebrem ist ganz anderer Meinung. Die EPRDF habe die kulturelle Eigenständigkeit der Ethnien geachtet und gestärkt.
Was stimmt wohl? Wahrscheinlich beides.
Jedenfalls zielen die Demonstrationen, so sagen sie beide, darauf ab, Addis in die Region Oromo zu integrieren und nicht als eigenständige Verwaltungseinheit zu belassen. Haile sagt, die Hardliner der EPRDF habe die Oromo dazu aufgehetzt, um die „neue Linie“ unter dem Oromo-Präsidenten zu destabilisieren. Gebrem sagt, das sei Quatsch, es seien quertreibende Oromo, die sich betätigten.
Wie es auch sei – wir fahren jedenfalls los, um eine Sonnenbrille für Annette zu besorgen. Unsere Guides wollen ihr was Ordentliches verschaffen und steuern mehrere Optiker an – die jedoch über alles mögliche Optische verfügen – nicht aber über Sonnenbrillen ohne Dioptrien.
Schließlich werden wir an einem der zahllosen Verkaufsstände an der Straße fündig und erstehen ein Exemplar für 200 Birr. Da kann man nichts falsch machen…
Nächste Station ist der berühmte Mercato, der größte Marktplatz Afrikas, wobei die Marktstände fast alle in festen Hallen zu finden sind. Heute sei nicht viel los, beteuern die beiden – doch wir schieben uns Meter für Meter durch hunderte von Menschen, mit und ohne Kopflasten oder hochbeladenen Schubkarren. Mal reiht sich Schuhladen an Schuhladen, mal gibt es rechts wie links Teppiche, mal Lederwaren und auf der anderen Seite Matratzen. Es gibt eben alles auf diesem Markt. Naja, fast alles.
Vom Markt noch einmal in den Norden der Innenstadt zur Holy Trinity Cathedral, einst von Haile Selassie erbaut wurde (also eher zu der Zeit, zu der man in Deutschland katholische Kirchen aus Waschbeton zu errichten pflegte). Er liegt dort auch in einem gigantischen Marmorsarkophag direkt neben seiner Frau bestattet. Die Kirche zeigt neben den üblichen Jesus-Bildern auch Deckengemälde der Schlacht gegen die Italiener und eine beeindruckende Darstellung einer Sitzung des Völkerbundes, vor dem Haile Selassie 1936 den Einmarsch der Italiener in einer Rede gegeißelt hat.
Außerhalb werden wir Zeugen einer Zeremonie mit etwa 200 jungen Frauen und Männern, die – dirigiert von einem Popen in der Mitte – immer wieder aufeinander zu gehen – sehr beeindruckend, besonders die Musik von Zirbeln und Trommeln.
In dem angeschlossenen Friedhof liegen Prominente. Sie lassen sich gerne mit fast lebensgroßen Büsten darstellen – ein Sportreporter ist in Aktion, mit Kopfhörer über den Ohren abgebildet.
Nahe bei noch das Grab von Meles Zenawi, dem langjährigen Präsidenten Äthiopiens, der 2012 an einem Hirntumor gestorben ist. Gebrem hält Meles für einen Genius – und selbst Haile spricht mit einer gewissen Hochachtung von ihm.
Zum Abschluss noch zum Bahnhof – ein Foto vom Judäischen Löwen.
Am Abend gehen wir erstmals eine Injera essen, das traditionelle Gericht in Äthiopien. Wir futtern mit musikalisch-tänzerischer Untermalung – und schaffen es nicht, die Injera vollständig aufzuessen.
Hallo Ihr beiden,
schön von Euch zu hören. So ausführliche, informative und gut bebilderte Tagesberichte – dafür schlägt ihr euch doch hoffentlich nicht die Nächte um die Ohren? Ein Lob für diese Leistung :-))
Wie kamst du eigentlich in Addis A. zu deinem (Vergleichs-) Foto von 1991?
Bin schon neugierig auf die Fortsetzung. Bis bald,
Annette T.
P.S. Übrigens meldete der KStA heute , dass der FC Anfang 2019 mit der Umsetzung der Erweiterung beginnen möchte und dass der Rat dem Vorhaben zustimmen wird!
Das Bild stammt aus einem Film, den ich zusammen mit Chris Hecker und Kordula Grünwald 1991 in Äthiopien gedreht habe. Ich war 1991 insgesamt 5 Wochen hier – und erkenne nichts wieder. Liebe Grüße Wendelin